Literaturform lud ein zu einem „Poetischen Stadtspaziergang“
v.l.n.r.: Albrecht Ochs, Horst Lang, Manfred Kelleter, Jürgen Bost und Ursula Ochs-Steinfeld führten die Zuhörer mit einem „Poetischen Stadtspaziergang“ durch St. Ingbert. (Foto: Sonja Colling-Bost)
Tief bewegt zeigte sich der randlos gefüllte Saal, als Manfred Kelleter, Urgestein der St. Ingberter Mundartlyrik, zum Mikrofon griff. Erst unlängst durfte der vielseitige Künstler seinen 90. Geburtstag feiern, nun begeisterte er sein Publikum durch seine feinfühligen Liebeserklärungen an das alte St. Ingbert. Er führte seine Zuhörer zu ihm seit früher Kindheit wohl vertrauten Orten und vergaß in seiner Hommage an seine Vaterstadt weder deren großen Sohn Albert Weisgerber noch das Ehepaar Albrecht Ochs und Ursula Ochs-Steinfeld. Das bekannte St. Ingberter Ehepaar stellte auch an diesem Abend seine Interpretationskunst unter Beweis und brillierte durch die souveräne Beherrschung des Mediums Sprache.
Jürgen Bost war der Reiseführer bei dem “Poetischen Spaziergang“ und veranschaulichte in seinem thematischen Überblick, welchen Reichtum an kreativen Persönlichkeiten und unterschiedlichsten Gestaltungen es in der Biosphärenstadt zu entdecken gibt. Er hob insbesondere
Karl August Woll als den Gründungsvater einer stolzen literarischen Tradition hervor, der die Pfälzer Blutwurst ebenso poetisch verklärte, wie er im Jahre 1890 die neue Wasserleitung in der aufstrebenden Industriestadt feierte. Im weiteren Verlauf entwarf Jürgen Bost jeweils kurze Lebensbilder der zur Sprache kommenden Autoren. Erfreulicherweise konnte auch Hans Guido Klinkner der Soiree beiwohnen und miterleben, welche Wertschätzung gerade seine dem heimischen Bergbau gewidmeten Gedichte heute noch erfahren. “Ornithologisch” wurde es, als Horst Lang das Lesepult besetzte. Unter dem Namen „Atzel“ veröffentlicht er seit dem Jahr 2003 wöchentliche Mundartkolumnen in der Saarbrücker Zeitung. Er bot begeisternde Kostproben aus seinen über tausend von treffendem Wortwitz und kritischem Geist erfüllten Glossen. Auch Schöpfungen von Klaus Stief und Eugen Motsch kamen in der Veranstaltung des Literaturforums zur Geltung.
Im Mittelpunkt der Lesung dominierten in der Folge jedoch Werke von Heinrich Kraus und Karl Uhl, deren Texte, ob in Prosa oder Versform, ob in Mundart oder Hochsprache, von Ursula und Albrecht Ochs sprecherisch souverän gestaltet wurden. Viele heute noch wohl vertraute Orte aus dem St. Ingberter Stadtbild konnten so sprachlich heraufbeschworen werden: In de Alt Kärch, Die Parrgass, Die Schmelz und S’Kuldurhaus – die Repräsentation dieser Örtlichkeiten wurde aus der Feder von Heinrich Kraus durchaus auch mit sozialkritischer Note zu Papier gebracht. Ebenso mit von der Partie waren einige der zahlreichen unsterblichen Texte von Karl Uhl. Dieser hatte stadtbekannte Originale wie die Jäbs oder das Owermieler Amey mit feinem Humor gezeichnet und mit “St. Ingbert stolze Waldesbraut” eine kaum noch zu toppende Apotheose der Stadt inmitten schöner Wälder und Höhen entworfen.
Am Ende war das Auditorium nach der fast zweistündigen “Poetischen Wanderung” hoch zufrieden, und man war, wie Gabriele Oberhauser bilanzierte, an viele schöne Orte gekommen, ohne dass die Füße müde gelaufen wären. Zum Abschluss der Veranstaltung dankte Jürgen Bost, Sprecher des St. Ingberter Literaturforums, allen Beteiligten, insbesondere auch dem engagierten Team der Stadtbücherei, für ihren Einsatz. Er kündigte zugleich eine erste Lesung für die Zeit nach der Sommerpause an: Am Mittwoch, 31. Juli 2024, wird Dirk Matheis seinen in der Biosphärenregion spielenden Roman “Sommer” vorstellen.