Veröffentlicht am 4. November 2025, 12.38 Uhr
Oberbürgermeister Bert Wendsche aus Radebeul begeistert beim Galakonzert zum Tag der Deutschen Einheit
Oberbürgermeister Bert Wendsche begeistert beim Galakonzert zum Tag der Deutschen Einheit
Beim festlichen Galakonzert anlässlich des 35. Jahrestages der Deutschen Einheit am 3. Oktober 2025 in St. Ingbert hielt der Radebeuler Oberbürgermeister Bert Wendsche eine bewegende Rede, die das Publikum nachhaltig begeisterte.
In seinen Worten verband Wendsche geschichtliche Rückblicke, persönliche Erinnerungen und einen eindringlichen Appell zu Zusammenhalt, Dankbarkeit und Verantwortung für den Erhalt von Freiheit und Frieden. Unter dem Leitmotiv „Momente – Demut – Träume“ zeichnete er ein lebendiges Bild der Deutschen Einheit und der besonderen Freundschaft zwischen den Partnerstädten St. Ingbert und Radebeul.
Aufgrund der großen Nachfrage nach dem vollständigen Redetext stellt die Stadt St. Ingbert die Rede von Oberbürgermeister Bert Wendsche nun auf ihrer Homepage zur Verfügung.
BU: OB Bert Wendsche während seiner Rede beim Galakonzert zum Tag der Deutschen Einheit 2025
Foto: Thomas Bastuck
Galakonzert 35 Jahre Deutsche Einheit – 03.10.2025 in St. Ingbert
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Dr. Meyer, lieber Ulli,
Liebe St. Ingberterinnen und St. Ingberter,
Werte Besucher des heutigen Galakonzertes,
es war mir Freude und Ehre zugleich, als ich im Frühjahr angefragt wurde, ob ich gemeinsam mit meinem St. Ingberter Amtskollegen die Schirmherrschaft für das heutige Galakonzert übernehmen würde. Wahrlich keine Selbstverständlichkeit! Die Vorfreude auf das musikalische Abenteuer ist sicher nicht nur bei mir und meiner Frau groß.
Gestatten Sie mir als Oberbürgermeister ihrer sächsischen Partnerstadt Radebeul einige Gedanken zum heutigen 35. Jahrestag der Deutschen Einheit.
War die Wiederherstellung der deutschen Einheit vor 35 Jahren eine Gnade, war sie ein Geschenk? Würde dies der Zäsur in unserer Geschichte wirklich gerecht? Wohl kaum!
Blicken wir zurück. Die deutsche Einheit als moderner Nationalstaat im Jahr 1871 war einerseits Ergebnis der mit dem Deutschen Zollverein vollzogenen wirtschaftlichen Einheit sowie andererseits der Einigungskriege und des Sieges des von Preußen geführten Militärbündnisses der deutschen Staaten im Deutsch-Französischen Krieg. Am 18. Januar wurde der preußische König Wilhelm I. in Versailles zum Deutschen Kaiser proklamiert.
Diese Einheit haben wir dann weitgehend selbst wieder verspielt mit dem von Deutschland ausgehenden Zweiten Weltkrieg. Eine Folge des Krieges, der unermessliches menschliches Leid, Flucht und Vertreibung, der unvorstellbare Zerstörungen über die Welt, über weite Teile Europas und nicht zuletzt auch über unser Land gebracht hatte, war 1949 die deutsche Teilung. Hoffnungen auf deren rasche Überwindung zerbarsten an der bitteren Realität der europäischen Spaltung in zwei unversöhnliche Blöcke. Letztlich sollte sie 40 Jahre wehren.
Doch die Hoffnung, die Sehnsucht war nie ganz erloschen. Sie erhielt in unterschiedlichen Facetten immer wieder neue Nahrung und brach sich schließlich unwiderstehlich Bahn.
Eine dieser Facetten der Hoffnung waren die deutsch-deutschen Städtepartnerschaften. Die erste war im Jahre 1986 jene zwischen Saarlouis und Eisenhüttenstadt. 1988 war es dann zwischen unseren beiden Städten so weit. Dass auf westdeutscher Seite saarländische Städte am Beginn standen hatte seine Ursache schlicht darin, dass der ehemalige Staatsratsvorsitzende der DDR, der „oberste Dachdecker der DDR“ Erich Honecker ein gebürtiger Saarländer war.
Und dass es dabei gerade zwischen unseren beiden Städten zu einer Partnerschaft kam, hatte mit den langjährigen Wirtschaftskontakten zwischen der damaligen St. Ingberter Firma Haaf und der Radebeuler Firma VEB Planeta Druckmaschinen zu tun. Welch‘ zukunftsweisende Symbolik – die Wirtschaft legte den Grundstein unserer Partnerschaft.
Anfangs hofften wohl viele nur insgeheim, dass unsere Partnerschaft irgendwann, ja wirklich irgendwann die Partnerschaft in einem wieder vereinten Deutschland sein würde. Damals zu wissen, dass dies bereits zwei Jahre später Wirklichkeit werden sollte, hätte hellseherischer Fähigkeiten bedurft.
Manches ließe sich berichten über das Handeln oder Nichthandeln in jener Zeit unter den damals herrschenden Umständen, über Menschen mit ihren Träumen und Ängsten, mit ihren Schwächen und Stärken. Und auch die Helden von damals, waren und sind stets auch nur Menschen!
Eines ist jedoch sicher, diese deutsch-deutschen Städtepartnerschaften der „ersten Stunde“ waren ein weiterer kleiner Spalt in der innerdeutschen Grenze aus Beton, Eisen und Stacheldraht. Ein kleiner Bruchstein der letztlich mit zum Gott sei Dank friedlichen Implodieren des ostdeutschen Systems beitrug.
Am 2. Oktober 1989 hörte man zum ersten Mal von Demonstrierenden in Leipzig den Ruf „Wir sind das Volk!“ – ein mutiger Aufschrei gegen die DDR-Diktatur und ein Signal der friedlichen Revolution. In kurzer Zeit wandelte sich dieser Ruf in „Wir sind ein Volk!“ und führte schon ein Jahr später zur Wiedervereinigung unseres Landes – eingebettet in den Zusammenbruch des sowjet-sozialistischen Systems, in einen Aufbruch der Hoffnung in nahezu ganz Europa.
Seitdem sind 35 Jahre vergangen – eine beachtliche, eine bewegte Zeit.
Ich möchte dies unter den Dreiklang „Momente – Demut – Träume“ stellen.
MOMENTE. 35 Jahre Deutsche Einheit sind ein bunter Reigen von Erlebnissen, Eindrücken und Erinnerungen.
Dabei fällt mir immer wieder eine interessante Episode ein: Im Zuge erster Begegnungen zwischen unseren Partnerstädten nach der Wiedervereinigung vertrug das West-Fahrzeug (Mercedes-Sprinter) den Ost-Diesel nicht und das Ost-Fahrzeug (Barkas) selbigen des Westens nicht. Nur mit viel Improvisationskunst ging letztlich alles gut.
Eine Episode, die sinnbildlich für den Beginn des Aufeinanderzugehens, des Kennenlernens, des Sicherverstehens der Menschen in unserem wiedervereinten Land stehen könnte; Menschen die 40 Jahre durch den „Eisernen Vorhang“ voneinander getrennt waren. Ein neugieriges Sich öffnen, ein tastendes Neulanderobern, teilweise Abenteuer, teilweise auch durchaus grotesk, verbunden mit Hoch und Tiefs, mit Missverständnissen und Verletzungen, mal ernst und mal fröhlich, aber immer getragen vom gemeinsamen Willen zur Einheit.
Viele dieser Momente zwischen St. Ingbert und Radebeul ließen sich benennen.
Sei es die Unterstützung St. Ingberts beim Jahrhunderthochwasser der Elbe im Jahr 2002 oder die schockierenden Bilder des Brandes der St. Ingberter Josefskirche. Hier konnte sich Radebeul helfend einbringen.
Seien es die zahlreichen Begegnungen der Kultur, ob gegenseitige Chorbesuche, ob Ausstellungen, ob Konzerte, ob Lesungen, immer wieder neue Facetten des Austausches, der Bereicherung.
Sei es das gegenseitige Kennenlernen bei den Ingobertus- oder Weinfesten, bei den erlebnisreichen Bürgerfahrten oder auch bei den mittlerweile schon traditionellen Verwaltungsradtouren.
Ein Reigen der lebendigen und gelebten (Partnerschafts-) MOMENTE, der gelebten Deutschen Einheit.
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Doch auch DEMUT ist angezeigt.
Die deutsche Wiedervereinigung wurde anfangs im In- und Ausland auch skeptisch beäugt, dennoch wurde unser Traum von Freiheit wahr.
Wozu wir in unserem Land in Freiheit fähig sind, zeigt zum einen die gigantische Wiederaufbauleistung der Menschen im Osten unseres Landes. Nach einem Nachkriegsstart ohne Marshallplan und eingezwängt in den Wirtschaftsblock des Ostens stand nach 40 Jahren am Ende der DDR eine nahezu desaströse Infrastruktur, eine kaum wettbewerbsfähige Wirtschaft und eine mit bitteren Narben gezeichnete geschundene Umwelt. Diese wurden mit immensen Elan auf Vordermann gebracht. Aber auch die dabei entstandenen Narben der Verletzungen und der teils bitteren Umbrüche der Lebensentwürfe sollen nicht ungenannt bleiben.
Wozu wir in unserem Land fähig sind, zeigt zum anderen die gigantische europäische, vor allem aber gesamtdeutsche Solidarleistung zur Unterstützung der Angleichung der Lebensverhältnisse und Lebensperspektiven.
Dabei sollten wir stets nicht jene vergessen, die das Geld dafür erwirtschaftet, aufgebracht haben, nämlich alle Arbeitnehmer und Arbeitgeber in Ost und West über den Solizuschlag, der Bund, die westdeutschen Länder und vor allem – und dies aus Anlass des heutigen Galakonzerts nochmals besonders hervorgehoben – die Städte und Gemeinden in den westlichen Bundesländern.
Auch St. Ingbert zahlte über viele Jahren eine erhöhte Gewerbesteuerumlage. Dies waren wegen des guten Gewerbesteueraufkommens jährlich mehr als 2 Mio. EUR. Geld, welches man sicher hätte auch gut selbst ausgeben können. Leider wird dies medial oft viel zu wenig gewürdigt.
Ich möchte daher heute aus tiefstem Herzen Danke sagen, Danke für die Solidarität und Unterstützung und ebenso Respekt und Ehrfurcht äußern für die gigantische Wiederaufbauleistung.
Ein wahrlich gesamtdeutscher Kraftakt. Daher halte ich es mit einer der politischen Grundmaximen des ehemaligen Bundespräsidenten Johannes Rau: „Ich will nie ein Nationalist sein, aber ein Patriot wohl. Ein Patriot ist jemand, der sein Vaterland liebt, ein Nationalist ist jemand, der die Vaterländer der anderen verachtet.“ Ja, in diesem Sinne bin ich zutiefst stolz auf unser Deutschland.
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Nach MOMENTE und DEMUT jetzt abrundend noch die TRÄUME.
Für meinen Traum möchte ich anknüpfend an den Radebeuler Weinberg in St. Ingbert – Geschenk zum 20. Partnerschaftsjubiläum – das Bild des Weinbergs nutzen, ein Bild mit tiefer Symbolik: Eine jede Partnerschaft und so auch die Deutsche Einheit ist wie ein Weinberg. Sie muss gehegt und gepflegt werden, damit sich der gewünschte Ertrag einstellt. Umso älter der Weinstock, umso reifer, umso edler der Wein. Kein Jahr ist wie das andere.
Möge es immer wieder Menschen geben, die die Pflege unseres Weinberges der Deutschen Einheit zu ihrer eigenen Verpflichtung machen, auf das er auch weiterhin reiche Frucht für unsere beiden Städte, unsere Bürgerinnen und Bürger, für unser Land tragen möge. Packen wir es auch zukünftig gemeinsam an! Bleiben wir neugierig aufeinander, es gibt noch so viel und immer wieder Neues zu entdecken!
Die Deutsche Einheit war und ist weder Gnade, noch Geschenk, sie ist das Werk vieler in unserem Land sowie unserer Partner und Freunde im Ausland, ein jeder hat seinen kleinen unverwechselbaren Mosaikstein zum Gelingen beigetragen. Eine besondere Verpflichtung erwächst uns jedoch daraus, dass uns die deutsche Wiedervereinigung auf friedlichem Wege gelang. Der Schatz des Friedens, ein Schatz, den man nicht hoch genug schätzen kann, den es zu bewahren und zu schützen gilt, jeden Tag!



